Freiheit statt Angst


Gerade von der Story wach geworden.

Er hackte sich bereits seit Stunden durch die dicke Wand vor ihm. Der Wall war dick und er wusste, er würde noch eine Weile an dem Ding herumhacken. Die Sicherheitswachen waren bislang noch nicht erschienen, doch er wußte auch, dass das nur eine Frage der Zeit war, bis sie auftauchen und ihn wieder zurückholen würden.

Doch er hatte genug. Er wollte endlich raus hier.

Er war in diesem Land aufgewachsen. Und er hatte den Leuten geglaubt, die ihm sagten, dass er frei war. Dass hinter der Mauer ein Land lag, dass er nicht betreten wollte. Er hatte ja auch alles. Er hatte zu Essen, er hatte sein bequemes Haus mit Schaukelstuhl und einer Veranda und er saß gerne dort und sah den Kindern beim Spielen zu.

Doch immer wieder glitt sein Blick zu der Mauer, die sein Land umgab. Halb verdeckt hinter Bäumen und einer dicken Hecke, war sie schön anzusehen. Sie wirkte wildromantisch wie ein übriggebliebenes Relikt aus alter Zeit. Sie wirkte harmlos, doch als er eines Tages wagte, der Mauer zu nahe zu kommen, fühlte er die Angst, die sie verströmte. Und er sah, dass die Hecke, die sie umgab, Dornen hatte, die eher Schwertern glichen. Und er hatte die allgegenwärtigen Sicherheitswachen vergessen, die sehr schnell dafür sorgten, dass er wieder auf seine bequeme Veranda verschwand.

Er wußte nicht mehr, wann sich seine Neugier in Frustration und die Frustration in Wut verwandelt hatte. Aber diese Wut wuchs. Und auch, wenn er wahrscheinlich nie wissen würde, warum ausgerechnet heute seine Wut übergekocht war, er hatte gehandelt. Ein Benzinkanister mit Feuerzeug hatte effektiv eine Lücke in die Hecke geschlagen, die die Mauer umgab. Er klammerte sich an seine Wut, als die Mauer selbst mit ihrer Angst versuchte, ihn zurückzutreiben. Doch er war nicht gekommen, um wieder aufzugeben.

Was bildete sich diese Mauer ein? Mit jeden Schlag seiner Spitzhacke, die er wie ein Specht in die Mauer trieb, wurde die Angst schwächer, die die Mauer umgab. Die Sicherheitswachen merkten plötzlich, was los war und sie kamen näher. Doch ein finsterer Blick und ein Schwung mit der Spitzhacke reichte tatsächlich aus, dass sie sich in sein Haus zurückzogen. Beobachteten, miteinander schwatzten. Doch sie hielten ihn nicht mehr davon ab, ein Loch in die Mauer zu schlagen.

Doch dann kamen die Stimmen. Glockenrein und überredend. „Du bist hier sicher.“ versicherte ihm die eine. „Du hast doch alles, was du brauchst.“ eine andere. Der Mann fühlte, wie seine Wut schwächer wurde, als er anfing, nachzudenken. Seine Schläge mit der Spitzhacke wurden langsamer und hörten ganz auf. Lange stand er dort und hörte auf die Stimmen, die so süß durch seinen Kopf hallten. Und er wurde unsicher.

„Du hast doch nichts zu verbergen, bist ein guter Bürger.“

„Wir wollen doch nur sicherstellen, dass du in Sicherheit leben kannst“

„Wir würden unsere Macht niemals missbrauchen.“

Mit einem Schlag kam er zurück in die Realität und merkte, dass die Stimmen ihn schon fast wieder auf die Veranda seines Hauses zurückgelockt hatten. Die Wachen standen bereits in den Schatten, die Arme ausgestreckt und seine Wut flackerte wieder auf, heißer als zuvor.

Wie KONNTEN sie es wagen?

Entschlossen hob er die Spitzhacke und marschierte erneut auf die Mauer zu. Die Stimmen versuchten wieder, ihn zurückzulocken, doch sie wurden weggebrannt von der heißen Flamme des Zorns, die ihn erfüllte.

Endlich brach der Pickel ein Loch in die Mauer. Ein goldenes Licht floß durch das Loch. Der Lichtstrahl traf auf die Veranda und die Sicherheitswache, die es traf, zerfloss mit einem klagenden Laut. Ein weiteres Loch und mehr goldenes Licht strahlte in seine kleine heile Welt hinein. Seine Gefühle waren nahezu unbeschreiblich. Angst, Aufgeregtheit, Freude: Fast war es zuviel für ihn.

Immer mehr Löcher schlug er in die einst so dicke Mauer und wo immer eine der Sicherheitswachen von den goldenen Lichtspeeren getroffen wurde, ertönte ein leiser, klagender Laut und sie zerfloss. Endlich brach der ganze Mauerabschnitt zusammen und er sah zum ersten mal in seinem Leben, was hinter der Mauer war.

Und er weinte.

Was er sah, jagte ihm unendliche Furcht ein, aber es war gleichzeitig von so unfassbarer Schönheit, dass er sich fragte, wie er je ohne diesen Anblick hatte leben können.

Ein letzter Blick zurück auf seine jetzt leere Veranda, auf seinen Schaukelstuhl. Die Sicherheitswachen waren verschwunden. Und auch alle anderen Bewohner seiner kleinen Welt. Er erkannte, dass sie alle Teil von ihm selbst waren und dass er sich selbst hier festgehalten hatte. Wo es bequem war und so gemütlich.

Er blickte wieder auf die furchterregend schöne Welt vor sich.

Und mit einem Lachen sprang er aus dem Gefängnis seiner Gedanken heraus.

Bereit, das Neuland zu entdecken.

***

Freiheit ist kein Gut, was man einfach so bekommt. Freiheit muss man sich erkämpfen. Die Freiheit, die eigene Meinung ohne Furcht äußern zu können, ist ein Privileg, das nicht viele Menschen in der Welt besitzen. Und dieses Privileg, was eigentlich ein Menschenrecht ist, ist bedroht.

Bedroht von der Furcht alter Männer und Frauen, die sich mit den Umwälzungen unserer Zeit nicht anfreunden können. Die in ihr eine Bedrohung sehen – keine Chance. Die die Uhr zurückdrehen wollen, weil sie da noch verstanden, wie die Welt funktionierte.

Ein amerikanischer Präsident sagte einst: „Ich bin ein Berliner“.

Ein anderer sagte: „Tear down this wall, Mr. Gorbatchov.“

Zwanzig Jahre später stehen wir vor den gesellschaftlichen Umwälzungen, die Tempora und Prism verursacht haben und müssen hier und jetzt entscheiden:

Bleiben wir auf unserer Veranda oder reißen wir die Mauer in unseren Köpfen, bestehend aus Furcht und Vorurteilen ein?

Brandley Manning und Edward Snowden, die beide damit konfrontiert sind, dass ihr Leben in jungen Jahren enden kann, weil sie für die Wahrheit einstanden: Sie sind Opfer dieser Furcht der alten Männer, deren Zeit eigentlich lange vorbei ist.

Diese Furcht, in der der Zweck alle Mittel heiligt bis hin zu offenem Rechtsbruch. Und jede Nachricht ist geeignet, die Mauer in unseren Köpfen ein wenig höher und dicker werden zu lassen.

Stephen Biko, Martin Luther King jr. starben, um ihre Vorstellung einer gerechteren Welt durchzubringen. Sie waren nicht frei von Furcht, doch sie waren in der Lage, diese Furcht zu überwinden und für ihre Überzeugungen einzustehen. Sie hatten die Mauer in ihren Köpfen eingerissen.

Edward Snowden ist isoliert im Transitbereich des Flughafens Scheremetjewo, weil er die Wahrheit verkündet hat – die Wahrheit über den immensen Bruch allen Rechts, den die US-Regierung seit Jahren durchführt. Die Wahrheit über die monströsen Versuche, Freiheit durch Sicherheit zu ersetzen. Er ist überzeugt, dass er bei der ersten sich bietenden Gelegenheit „ausgeknipst“ wird.

Bradley Manning steht vor Gericht, weil er die Wahrheit über den Krieg verkündet hat, den sein Heimatland überall auf der Welt führt. Die Wahrheit, dass Krieg keine „chirurgischen Schnitte“ ermöglicht. Die uralte Wahrheit, dass Kriege nur Hass, Trauer und verbrannte Erde übriglassen.

Auf beiden Seiten. Denn auch die toten US-Soldaten haben trauernde Angehörige.

Und auch wir haben wieder Kriegstote.

Und für jeden einzelnen von uns nähert sich mit raschen Schritten die Stunde, wo man wählen muss.

Nicht, welche Figur in Berlin die nächsten 4 Jahre den Kanzlerstuhl warmhält, sondern die Wahl zwischen:

Freiheit

oder

Angst.

Und was wählst du so?

Veröffentlicht am 3. Juli 2013, in Allgemein. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 13 Kommentare.

  1. ein anderer Stefan

    Sehr schöne Geschichte, wenn auch allegorisch arg überhöht. Das goldenen Licht finde ich übertrieben, denn Freiheit bedeutet auch Unsicherheit und eigene Verantwortung. Damit umzugehen, will gelernt sein. Das ist natürlich kein Grund, Freiheit abzulehnen, sondern vielmehr ein Grund, den Menschen das Rüstzeug zu geben, damit umgehen zu können. Im Moment werden die Menschen so sehr mit anderen Dingen abgelenkt (sei es Arbeitsplätze, Umweltängste, künstlich geschürte Angst vor Terror, Konsumterror oder Medienverdummung) dass sie gar nicht mehr dazu kommen, sich über sich selber Gedanken zu machen. Alle jammern, dass der Staat zu viel reglementiert und reguliert – aber mit wirklicher Freiheit können viele gar nicht umgehen, dazu braucht es Verantwortungsgefühl und einen gefestigten ethischen Kompass. Und das lernt man nicht in der Schule, der Ausbildung oder der Familie, das bildet sich nur heraus, wenn man selber reflektieren kann und sich darüber mit anderen austauscht. Viele Menschen haben ein instinktives Gefühl für „richtig“ und „falsch“, es verkümmert aber, wenn es nicht gefördert und in der Kontroverse geschärft wird. Und es kann leicht irregeleitet werden.

    • Es sollte überhöht werden. Und ja, man muss lernen, mit Freiheit umzugehen. Aber du lernst das nicht, wenn deine Kopf von Mauern umgeben ist.

      Die müssen zuerst weg. Den Rest muss man lernen wie man laufen lernt. Aber es wird immer welche geben, die es nicht lernen können.

      Doch sollten wir dann auf das Wegreißen der Mauer verzichten?

      • ein anderer Stefan

        Ganz deiner Meinung, Tantchen. Im Moment werden die Mauern immer höher, die Angst immer größer. Deswegen haben in ganz Europa Populisten Zulauf, die vermeintlich einfache Antworten liefern. Viele Menschen merken, dass die Welt verdammt kompliziert ist. Sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen, und aus Angst und Unwissenheit fallen sie auf die Bauernfänger herein. Die politischen Parteien sind mir dabei auch wurst.

  2. 26% Piraten, 26% AfD, dann bin ich mit dem Wahlergebnis zufrieden. Und ja, ich weiß, dass das unrealistisch ist!

    • Bei der Wahl ging es mir nicht um Parteien 😉

      • Und ich hätte gedacht, dass wäre offensichtlich. Also dass du nicht die Parteien meintest, Tante. Aber vielleicht bin ich auch einfach zu idealistisch.

    • Lochkartenstanzer

      Piraten und AfD sdind Murks. wenn schon, dann 4% CDU, 4% SPD, 4%Grüne, 4% Linke, 1% FDP, 2%sonstiges, 6% „Die Partei“ und 75% „ungültig“.

      Aber das ist noch unrealistischer.

  3. Ich sag mal wieder Uiuiui.

    Kein „demokratisch freies“ Land will ihn, den nicht verurteilten, aufnehmen. Zusätzlich haben die meisten „Auslieferungsabkommen.

    Währenddessen wird die Maschine des bolivianischen Präsidenten „abgefangen“ ähhm natürlich wegen technischer Bedenken der Überflug verweigert. Es hätte ja Snowden drinne sitzen können:
    http://www.tagesschau.de/ausland/snowden-wikileaks108.html

    @Kinki zweistelliges Ergebnis für AfD? Da kann man sich ja auch gleich den Strick nehmen.

    • Wenn CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne unter „Sonstige“ aufgeführt würden, könnte ich sogar das akzeptieren…

      • Leute, bitte:
        Unter „Was wählt ihr so“ – habe ich mich NICHT auf Parteien bezogen. Echt nicht. Das ist mir wumpe.

  4. Sagte der Präsident nicht eher, dass der stolzeste Satz den man […] sagen könne: „Ich bin ein Berliner.“ sei? Dann ergibt das Ganze nämlich ein anderen Sinn 😉
    Und das mit dem „Mauer niedereißen“ war auch Perlen vor die Säue geworfen, da das zu jenem Zeitpunkt, wenn ich mich nich irre, noch gar nicht anzudenken war.
    Alles nur Wahlkampfgetöse.

    Aber mit der Mauer in den Köpfen hast du recht. Es muss nicht heißen: „Ich habe nichts zu verbergen.“ sondern, „es geht den Staat ’nen Shicedreck an, ob ich etwas zu verbergen habe! Es geht ihn ’nen Dreck an, wo, wie oft und wem ich telefoniere, chate, e-Mails austausche oder ’n Bier schlabbern gehe. Und solange ich nichts verbrochen habe, hat er mich in Ruhe zu lassen!“

    Ich persönlich habe den Eindruck, dass diejenigen, die am 11.9.2001 tätig waren, zumindest einen Teil erreicht haben, was sie erreichen wollten.

    Mal ganz abgesehen davon, dass sie die feuchten Träume der Überwacher und Mächtigen wahr werden ließen…

  5. Freiheit ist Angst Q.E.D.

warf folgenden Kuchen auf den Teller