Fehlgeleitete Justiz


Freiheit. Für uns selbstverständlich. Wir können entscheiden, ob wir nach draußen gehen, ob wir ein Zimmer verlassen oder ob wir das Licht ausmachen. Wir können entscheiden, ob wir uns an den PC setzen oder spazieren gehen.

Nicht umsonst ist die Freiheit eines der höchsten verfassungsrechtlich geschützten Güter in die der Staat nur ausnahmsweise eingreifen darf. Privatpersonen dürfen nur innerhalb absolut eng umrissener Grenzen hier eingreifen, alles andere nennt sich dann Freiheitsberaubung und ist strafbar.

Tja. Und wenn der Staat sich irrt?

Justizirrtümer kommen vor. Mit ein Grund, warum man von der Todesstrafe inzwischen absieht, ist der, dass man sich darüber klargeworden ist, dass eine Wiedergutmachung für im Gefängnis verbrachte Lebenszeit nicht vollständig möglich ist (man kann einem irrtümlich verurteiltem die Zeit nicht wiedergeben), aber man kann denjenigen dann in die Freiheit entlassen und ihn mit Geld entschädigen (dass diese Entschädigungssummen in Deutschland lächerlich sind, darüber müssen wir, glaub ich, kein Wort verlieren).

Wichtig bei Justizirrtümern ist aber, dass man das Opfer dieses Irrtums so schnell wie möglich wieder in die Freiheit entläßt. Mit jedem Tag, den ein zu Unrecht verurteilter noch weggesperrt wird, wird auf das erlittene Unrecht noch etwas mehr draufgepackt.

Gustl Mollath ist so ein Fall. Der Mann kann einem inzwischen nur noch leid tun – ein Spielball verschiedenster Interessen, aber SEINE hat wirklich kaum einer im Sinn.

Das Wiederaufnahmeverfahren wird von der Staatsanwaltschaft betrieben. Das ist in Deutschland ein Novum, dass die Behörde, die die Anklage zu verantworten hat die Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens wegen grober Rechtsfehler betreibt, hat es hier noch nicht gegeben.

Gustl Mollath wurde systematisch psychiatrisiert. Mit unechten Urkunden, fahrlässig erstellten Gutachten und das schlimmste von allem war, dass entgegen aller rechtsstaatlichen Grundsätze die Sachen, die Mollath entlasten konnten, wie z.b. Ermittlungen der Steuerfahndung, die ergeben hätten, ob an den Geldwäschevorwürfen etwas dran ist, von dem urteilenden Richter effektiv mit einem Anruf verhindert wurde.

An dem Fall ist so unglaublich viel, was es (öffentlich) in Deutschland noch nie gegeben hat. Die Verhandlungsführung des Otto Brixner – ohne Respekt für den Angeklagten, den er für einen Spinner hielt. Entlastende Gutachten, die Gustl Mollath bescheinigten, dass er durchaus bei Verstand sei: wurden nicht berücksichtigt.

Die Tatsache, dass er sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen hat und alle Untersuchungen verweigerte: Wurde entgegen aller Grundsätze unseres Rechtsstaates zu seinem Nachteil ausgelegt – alleine das hätte nicht passieren dürfen. Und es ist inzwischen weiter Konsens unter Juristen, dass der Fall Mollath einer der größten Justizskandale in der deutschen Nachkriegsgeschichte ist.

In der Konsequenz des gemeinschaftlichen Totalversagens aller Instanzen sitzt ein Mann nunmehr im achten Jahr als gemeingefährlicher Mensch in der geschlossenen Psychiatrie. Isoliert, abgeschirmt, vereinsamt. Was Gustl Mollath übrigens aus der Psychiatrie berichtet wirft auch kein gutes Licht auf den Maßregelvollzug.

Das wenigste, was man jetzt tun kann, ist, den Mann ganz schnell auf freien Fuß setzen. Besser heute als morgen.

Und dann kommt das Landgericht Bayreuth. Dass eine Anhörung für Gustl Mollath angesetzt hat, um festzustellen, ob von dem Mann noch eine Gefährdung ausgeht. Das Gericht hat an der Stelle nicht zu prüfen, ob *je* von ihm eine Gefährdung ausgegangen ist, sondern nur: Ist der Mann *jetzt* gefährlich oder kann man ihn freilassen.

Laut Landgericht Bayreuth: Nein.

Und ich stehe als juristischer Laie vor dem Problem, das bewerten zu müssen. Ich mache den Versuch – an der Stelle verlasse ich aber die Gefilde des sicheren Wissens und begebe mich in die Niederungen der Spekulation bzw. des „gesunden Menschenverstandes“ – das muss nicht korrekt sein.

Menschlich: Hier hat die Justiz vollkommen versagt. Aber das tut sie schon seit dem Prozess, also ist hier nichts großartig Neues zu sehen.

Juristisch: In die Bewertung, ob noch eine Allgemeingefährdung von einem Menschen ausgeht, gehören natürlich auch die aktuellen Entwicklungen. Zum Beispiel die Ereignisse, die die Staatsanwaltschaft dazu bewogen haben, ein Wiederaufnahmeverfahren zu beantragen.

Und auch, wenn die Richter am Landgericht Bayreuth nicht im Nachhinein die Gefährlichkeit zu bewerten haben – das ist Sache des Wiederaufnahmeverfahrens – so sind die veränderten Umstände durchaus heranzuziehen, wenn es um die künftige Gefählichkeitsprognose geht. Also: Wenn der nie gefährlich war – dann ist er das wahrscheinlich auch jetzt nicht.

Statt dessen sagen die Richter: Der war gefährlich und ist es noch.

Und HIER wird der Justizskandal meines Erachtens bewußt und konsequent weiter durchgezogen. Das ist zumindest für mich bereits eine Ansage für das Wiederaufnahmeverfahren. Wenn die Richter die „andauernde Gefährlichkeit“ bejahen, dann stützen sie damit das Skandal-Urteil des Otto Brixner und damit den Rücken ihres Richterkollegen.

Das läßt für das Wiederaufnahmeverfahren nichts Gutes erahnen.

Die Frage, die sich mir an dieser Stelle stellt ist, wie sehr hat die Justizministerin Beate Merk darauf Einfluß genommen? Wenn Report Mainz recht hat, hat Frau Merk gelogen. Die Stellungnahme, die sie im bayrischen Landtag abgegeben hat, weicht von den Tatsachen offenbar doch erheblich ab. Wenn das Landgericht Bayreuth festgestellt hätte, dass von Gustl Mollath keine Gefährdung ausgeht, wäre sie wohl nicht mehr zu halten gewesen.

So wirkt das, was gerade im Fall Mollath aussieht wie eine konzertierte Aktion Ass-Covering. Das Wiederaufnahmeverfahren wird unglaublich träge bearbeitet. Eine Entlassung am Prüfungstermin unter Berücksichtigung der neuen Erkenntnisse wurde verweigert. Der Medienzirkus ist schnellebig – ist es so fernliegend, wenn man vermutet, dass man jetzt „Dampf aus dem Kessel“ nehmen will, bis der Medienzirkus ein neues Ziel gefunden hat und der Fokus vom Fall Mollath wieder weg ist? Und dann stellt die Justiz im Wiederaufnahmeverfahren fest, dass das alles nicht richtig ist und behält ihn im Maßregelvollzug?

Wir schulden es nicht nur Gustl Mollath sondern auch uns allen, die jederzeit in dieselbe Lage kommen können, dass das nicht passiert.

Jederzeit in dieselbe Lage kommen? Aber ja. Denn warum wurde so viel Wert auf die Psychiatrisierung gelegt?

Wäre Gustl Mollath damals wegen Körperverletzung verurteilt worden, er wäre wahrscheinlich mit einer Bewährungsstrafe oder kurzen Haftstrafe als Ersttäter davongekommen. Aber damit wäre seine Glaubwürdigkeit nicht erschüttert gewesen. Er hatte Geldwäschevorwürfe gegen die HypoVereinsbank erhoben, diese Vorwürfe haben sich als zutreffend erwiesen. Und wie kann man jemanden endgültig mundtot machen? Ohne Aussicht auf Bewährung?

Indem man ihn psychiatrisiert. Durch diese Handlung ist zum Einen die Haftentlassung von Gustl Mollath auf „unbestimmte Zeit“ verschoben. Und zum Anderen hat man damit seine Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit zerstört. Einem Wahnsinnigen glaubt man nicht. Man tätschelt ihm kurz die Schulter, sagt gönnerhaft „hast ja recht“ und läßt ihn weiter sabbernd mit Bauklötzchen spielen.

Dass es nicht mehr so ist, verdankt Gustl Mollath einem regen und wirklich gut und bedächtig agierenden Unterstützerkreis.

Seine Frau hat die Vorwürfe noch einmal bestätigt? Aber ja, dass musste sie sogar, siehe Ass-Covering. Für DIE steht nämlich jetzt die Freiheit auf dem Spiel. Aufgrund ihrer Anzeige ist Gustl Mollath in die Psychiatrie eingewiesen. Sollte er im Wiederaufnahmeverfahren rehabilitiert werden (so das Verfahren wieder aufgenommen wird), geht sie in den Bau. 7 – 8 Jahre Freiheitsberaubung durch eine Falschanzeige. Das ist mit Bewährung nicht mehr abgehandelt. Und ich gehe davon aus, dass sie das weiß.

Übrigens, der Satz der mich am meisten mitgenommen hat in dem Fall? Er kam von Gustl Mollath selbst:

„Wenn ihr mich schon weiter einsperren sollt, dann bitte im Gefängnis. Aber bitte nicht mehr in der Psychiatrie.“

Damit ist eigentlich alles gesagt.

Veröffentlicht am 12. Juni 2013, in Allgemein. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 5 Kommentare.

  1. Thema Rechtsirrtümer und Wiedergutmachung:
    Wenn ich mich recht entsinne beträgt die „Wiedergutmachung“ für Hafttage so um die 13,50 €. Da kommt man ja fast im Monat auf 400€.

    Okay Wiki weiß es etwas besser http://de.wikipedia.org/wiki/Haftentsch%C3%A4digung
    Da heißt es 25€ abzüglich 6€ Kost und Logis.
    Also im Normalfall 19 Euro und auf einen Monat überschlagen 570 Euro.

  2. Kennst du diese Seite?
    http://www.gustl-for-help.de/

    Da wird noch mal alles dargestellt, auch sind viele Dokumente verlinkt. Ich habe diese Adresse von einem guten Freund, der selbst beinahe mal unverschuldet in eine solche Psychiatrie-Mühle geraten wäre.

  3. Also frei nach einigen Rechtsanwaltsblogs muß bei einer Neuentscheidung auf den aktuellen Stand Bezug genommen werden und NICHT auf die vor Jahren „begangenen“ !
    Macht ja auch keinen Sinn jemanden der im „normalen“ Knast sitzt die ollen Kamellen unter die Nase zu reiben wenn der sich gut geführt hat und immer schön brav das Seifenstück aufgehoben hat …
    Aber wenn man es mal objektiv betrachtet kommt wieder eine Politikerin einer bestimmten Partei die viel zu verlieren hat (Superwahljahr, wissen schon …) in den Focus und wenn man dann noch über die Weisungsbefugnis von bestimmten Ämtern usw. usf.
    Es geht also gar nicht um die Person und die angeblichen Straftaten !
    Und das KOTZT mich am meisten an *göbel*
    Mal abgesehen davon das mehr als genügend Totschläger (damit meine ich die Jungs die im Vollsuff jemanden den Kopp auf’m Pflaster zertrümmert haben) frei herumlaufen, wo ist denn die Leiche von Mollath und warum sind die nicht in der Klapse ?

  4. ich bin ja der meinung, dass in dem fall wahrscheinlich mehrere der handelnden personen selbst von den geschaeften der bank profitiert haben oder sie haben sich direkt bestechen lassen, denn so viele fehler auf einmal kommen eher selten zufaellig zusammen.

warf folgenden Kuchen auf den Teller