Der Whistleblower


Wo immer Menschen in einer Gruppe leben, gibt es solche, die ihre eigene Agenda verfolgen. Sie erzählen uns eine Sache und tun dann das Gegenteil. Das können Firmen genauso sein wie Politiker, Organisationen, Behörden oder eben auch dein Nachbar.

Diese Menschen sind auf Geheimhaltung angewiesen, darauf, dass ihre Handlungen nicht herauskommen.

Und hier beginnt der Job der Whistleblower.

Whistleblower sind nicht zwangsläufig gute oder mutige Menschen. Die Motivation zum Whistleblowing kann sehr kleinlich sein, wenn ein Angestellter zum Beispiel Firmengeheimnisse verrät, weil er nicht befördert wurde.

Es gibt aber noch die anderen Whistleblower, diejenigen, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren, die die Gelegenheit hatten und den Mut, diese Gelegenheit zu ergreifen, um Unrecht offenzulegen.

Anfang der 70er Jahre gab es die Watergate-Affäre. Die Washington Post hat einen Politskandal aufgedeckt, der hinterher zum Rücktritt Richard Nixons führte. Ausgelöst wurden die Recherchen von Bob Woodward und Carl Bernstein durch das Whistleblowing von „Deep Throat“, einem Informanten, der über detaillieter Insiderkenntnisse verfügte. 2005 wurde erstmals der Name dieses Informanten öffentlich bekannt: Mark Felt.

Am Ende stand zum ersten Mal in der Geschichte der USA der Rücktritt eines Präsidenten, der damit einem Amtsenthebungsverfahren zuvorgekommen war.

Fast 40 Jahre später, im Jahr 2007, führen die USA einen anderen Krieg. Der Irakkrieg wurde gegen jede Vernunft durchgezogen. Die von der amerikanischen Regierung behaupteten Massenvernichtungswaffen, die sich im Besitz von Saddam Hussein befinden sollten, sucht man bis heute.

Das erste, was in jedem Krieg verlorengeht, ist das Bewußtsein dafür, dass auf der anderen Seite Menschen stehen. Nicht von ungefähr ist die Kriegsrhetorik darauf ausgelegt, den Gegner als „unmenschlich“ zu klassifizieren. Ein Soldat, der weiß, dass er auf einen Menschen schießt, wird das wahrscheinlich nicht tun.

Leider nur folgerichtig ist dann der Angriff der Hubschrauberbesatzung auf unschuldige Zivilisten. Das Video, veröffentlicht auf der Whistleblowerplattform Wikileaks, zeigt, wie eine Hubschrauberbesatzung ein Teleobjektiv einer Kamera mit einem Granatenwerfer verwechselt und die Besatzung sich dann zum Angriff entschließt. Im nachfolgenden Gefecht sterben nicht nur zwei Reporter der Nachrichtenagentur Reuters, sondern auch Zivilisten, die in einem Van Schutz gesucht haben, darunter Kinder.

Die US-Armee hat die Kameras der Reporter konfisziert und als geheim klassifiziert, die Tragödie war in mehr als einer Hinsicht peinlich für die US-Armee. Und kurz nach dem Skandal um Abu Ghuraib konnte sich die Armeeführung keine schlechte Presse im Irak leisten.

Bradley Manning hatte Zugriff auf die Videos. Über seine Motivlage möchte ich nicht spekulieren, es spielt keine Rolle, warum er die Dokumente an Wikileaks weitergegeben hat. Er hat die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und die Dokumente veröffentlicht.

Die Ermittlungen nach der Ursache des Informationslecks liefen auf Hochtouren und schnell wurde man fündig. Brandley Manning wurde verhaftet und in eine Untersuchungshaft gesperrt, die so schikanös war, dass sich ein Richter genötigt sah, aufgrund der harten Haftbedingungen im Camp Quantico, die Strafe bereits vor dem Urteil um 112 Tage zu reduzieren.

Erst jetzt, nach fast 3 Jahren Ermittlungsarbeit und ununterbrochener Untersuchungshaft, wurde Bradley Manning vor ein Militärgericht gestellt.

Die Botschaft sowohl von US-Regierung als auch seitens der Armeeführung war klar: Whistleblower haben keine Gnade zu erwarten.

Folgerichtig ist auch die Regierung von Präsident Obama die erste US-Regierung, die Whistleblower zu Kriminellen degradiert und rücksichtslos verfolgt, wie man am Beispiel Julian Assanges sehr beispielhaft sieht. Unter der Regierung von Barack Obama sind Whistleblower wie nie zuvor kriminalisiert, verfolgt und eingesperrt worden.

Demokratien leben von Offenheit und sterben an Geheimnissen. Eine starke Demokratie kann Pannen verkraften. Viele Geheimnisse sind ein Zeichen dafür, dass die Demokratie im Land zumindest geschwächt ist. Whistleblower stellen diese Offenheit her, wenn die Regierung dazu zu feige ist. Sie sind keine Kriminellen, sie sind notwendiger Bestandteil einer Demokratie.

Der Umgang mit Bradley Manning sagt viel über den Zustand der US-Demokratie aus. Die Art und Weise, wie die Untersuchungshaft durchgeführt wurde, die nicht rechtsstaatlichen Schikanen, die nur dazu dienten, ihn bereits vor dem Prozess zu bestrafen und seinen Charakter zu brechen ist ein Schlaglicht auf das Demokratieverständnis der amerikanischen Regierung.

Bradley Manning soll mit dem Whistleblowing „amerikanische Menschen und ihre Verbündeten“ gefährdet haben. Doch das Whistleblowing wäre nicht notwendig gewesen, hätte sich die amerikanische Regierung an das Völkerrecht gehalten oder wäre die Hubschrauberbesatzung weniger schießwütig gewesen.

Das Urteil im Fall Manning wird zeigen, wie es wirklich um die Bürgerrechte in den USA bestellt ist.

Wie ich fürchte, nicht gut.

Übrigens: Mark Felt, der Mann, der einen Präsidenten gestürzt hatte, wurde nie verurteilt.

Veröffentlicht am 4. Juni 2013, in Allgemein. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 11 Kommentare.

  1. ein anderer Stefan

    Ob Whistleblower Kriminelle sind, ist eine Definitionsfrage: Wenn sie Geheimnisse verraten, kann dies juristisch ein krimineller Akt sein.
    Das ist aber noch lange kein Grund, jemanden wie Manning oder Assange als furchtbare Verbrecher zu dämonisieren, wie die USA es tun. Es würde mich nicht wundern, wenn Manning nach Kriegsrecht zum Tode verurteilt wird (sofern das nach US-Militärrecht möglich ist) und dann gnädig von Obama begnadigt wird. Geheimnisverrat im Krieg kann man als Hochverrat sehen, und darauf kann durchaus die Todesstrafe stehen. Einen fairen, rechtsstaatlichen Prozeß kriegt er jedenfalls nicht. Und den würde Assange auch nicht kriegen. (Zumal es ja wohl Anzeichen gibt, dass die Vergewaltigungsvorwürfe fingiert sind). Ein großes Problem ist ja auch, dass Manning als Nestbeschmutzer gilt. Das war bei Deep Throat ja anders, zumal es bei Watergate um einen abgeschlossenen Komplex handelt, Manning aber eine Unzahl an Informationen weitergab.
    Oder Manning stirbt hinterher in einem Militärgefängnis an einem bedauernswerten Unfall…

    Ich sehe in den USA immer mehr ein Imperium im Niedergang, dass diesen Niedergang mit allen Mitteln aufzuhalten versucht – auch und gerade mit Repressionen gegen die eigene Bevölkerung. Da die USA aber so ein verdammt großes und mächtiges Imperium sind, wird der Niedergang schmerzhaft und langwierig sein, und alle Vasallen erheblich beeinträchtigen.

    • Um die juristische Wertung ging es mir weniger, sondern viel eher um die moralische. Und um das herausarbeiten der Tatsache, dass Obama sehr viel rigoroser gegen Whistleblower vorgeht, als das seine Vorgänger getan haben.

      Diesbezüglich ist der um einiges schlimmer als Bush.

  2. Reblogged this on the time is nigh and commented:
    Füge hier deine Gedanken hinzu… (optional)

  3. Der fehler des Hernn Manning ist, dass er nicht anonym geblieben ist; daraus resultieren seine Probleme, nämlich dass jetzt ein Mann angeklagt wird, der schlimmste Verbrecher zu sein, den die USA jemals gesehen haben, weil er durch seine Veröffentlichungen viele Tausend US-Soldaten in Gefahr brachte. Dies tut man, um vom eigentlichen Grund für den Tod der Soldaten abzulenken, man schickte sie in Kriege, die man nur führte, um einigen Bonzen ihre Pfründe zu sichern. Ablenken möchte man auch von den Kriegsverbrechen amerikanischer Militärangehöriger und vielleicht auch von Chuzpe der amerikanischen Regierung zu behaupten, man befreie die angegriffenen Staaten von Unrechtsregimen.

    • Ui – Wurstfinger Error:
      Fehler muss groß und der Herr hat zwei „r“ und nur ein „n“ verdient…

    • Das war nicht der Fehler von Bradley Manning sondern teilweise von Wikileaks, weil die nicht gründlich genug verschleiert hatten. Außerdem hatten wohl nicht allzu viele Menschen Zugriff auf diese Videos und so war der Schuldige schnell gefunden. Übel. Ganz übel.

      • Wenn ich es richtig erfasst habe, so hat ihn ein, nennen wir ihn V-Mann des FBI auffliegen lassen (oder so ähnlich).
        Aber du hast Recht, dass es nicht so einfach ist, die eigene Identität zu verschleiern, gerade wenn man auf geheime Daten zugreift und diese weiterverarbeitet.

  4. Ganz allein die Schuld auf die jetzige Regierung zu schieben ist auch bisschen unkritisch.
    Ich denke mal wenn die andere große Partei an der Macht wäre, wäre das genauso oder ähnlich passiert.
    Die aktuellen politischen Schwingungen sind ja eher so.

    Einen „Landesverräter“ will da keiner davonkommen lassen, auch grade nachdem die Unberührbarkeit/Unantastbarkeit der USA durch den Terror verletzt wurde.

    Die Haftbedingungen sind ja wirklich nicht grade fein, da wollen sich die Wärter und Verwaltung ja irgendwie noch an der bösen Welt rächen und so ein „traitor“ ist fur viele ein legitimes Ziel.

    Früher konnte man eher mal ein paar Akten nem Journalisten zukommen lassen und sich dann im stillen Kämmerlein zufrieden zurücklehnen. Mit der Technik wird die Datenmenge größer und auch nachvollziehbarer und wenn sich dann nicht im stillen Kämmerlein gefreut wird sondern eventuell irgendwo damit angegeben/profiliert wird dann kann man ganz kräftig ins Fettnäpfchen tappen.

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warf folgenden Kuchen auf den Teller